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GIRASSOL dankt für die großzügige Unterstützung

 

Liebe Frau Hingott!

Wir haben Juni - „Schon wieder!“ möchte man erstaunt ausrufen - in Brasilien beginnt der Winter und in wenigen Tagen die dazugehörigen Schulferien. Als wir unseren Sommerbrief im vergangenen Jahr verfassten, gab es jede Menge neue Projekte, über die zu berichten war. Die durch die CORONA-Maßnahmen verursachte Lähmung war nach deren Lockerung einer intensiven Betriebsamkeit gewichen, gab es doch Vieles nach- und aufzuholen. Als wir den letzten Weihnachtsbrief schrieben, fühlten wir uns in der wirklich glücklichen Lage, über all‘ die abgeschlossenen Arbeiten zu den verschiedenen Vorhaben zu berichten.

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Die renovierte Küche und der Speiseraum sind nun dank Sternstunden e.V. schon seit einem Dreivierteljahr in Benutzung. Es geht uns immer wieder das Herz auf, wenn wir vor Ort sind und die Kita-Knirpse beim Mittagessen beobachten. Es sitzen an den Kindertischen auf den Kinderstühlen müde gespielte Kinder, die mit gesundem Appetit eine ausgewogene, frisch zubereitete Mahlzeit vertilgen. Das Essen in GIRASSOL wird täglich gekocht, immer in Abstimmung und unter der „Generalverantwortung“ von Dona Adriana, der Ökotrophologin der SBA (Sociedade Beneficente Alemã = ehemaliger Deutscher Hilfsverein) - sie ist auch verantwortlich für den Küchenbetrieb im Altersheim der SBA. Sie ist mindestens einmal in der Woche in Grajaú und bespricht die Speisepläne mit der Köchin, arbeitet mit ihr die Einkaufsliste aus; macht Vorschläge zu Qualität und abwechselnder Reihenfolge der Speisen; achtet darauf, dass es auch „Veggie-Tage“ gibt und überprüft die täglich zu erstellenden Mahlzeiten-Protokolle, die behördlicherseits erforderlich sind. Jahr für Jahr sind die ersten etwa drei Wochen für die Erzieherinnen eine echte Herausforderung, was das Essen und die neu aufgenommenen Dreijährigen betrifft: diese Kinder sind es nicht gewöhnt, ihre Mahlzeiten am Tisch sitzend mit Besteck zu sich zu nehmen. Auch sind sie solch hochwertiges Essen nicht gewöhnt … Es ist ein weltweites, immer problematischer werdendes Phänomen, dass gerade die Menschen, die es sich am wenigsten finanziell leisten können, der international agierenden Lebensmittelindustrie und ihrer omnipräsenten Werbung am umfänglichsten „auf den Leim gehen“. Der Trick der großen Lebensmittelkonzerne ist, ihre Produkte in kleinste Einzeldosen abpacken zu lassen. So wird erreicht, dass die Ware „gefühlt“ sehr preisgünstig ist; darüber hinaus suggeriert die Werbung der wenig gebildeten Kundschaft, diese industrialisierten Lebensmittel wären extra gesund. Bei Lichte betrachtet, ist wenig davon gesund und die Minipackungen sind im Verhältnis exorbitant teuer … Wenn die Kinder in der GIRASSOL-Kita anfangen, sind sie daran gewöhnt, süßen Yoghurt (z. B. „Fruchtzwerge“), Wackelpeter, Nudelfertiggerichte, Kekse, extrem gezuckerten Kakao sowie übermäßig süße Säfte aus dem Tetrapäckchen, usw. irgendwann, irgendwo zu konsumieren. Gemüse, frisches Obst, Salat, frisch gepresste Obstsäfte, Vollkornbrot und Ähnliches sind ihnen (und ihren Müttern/betreuenden Erwachsenen!) unbekannt und werden anfangs natürlich abgelehnt. Darum werden in der ersten Woche neuerdings in Zusammenarbeit mit unserem psycho-sozialen Dienst (PSD) immer verbindliche Elternabende abgehalten, an denen es ausschließlich um die Ernährung geht. Es ist in den letzten Jahren bedauerlicherweise mehr als einmal vorgekommen, dass bei den „Neuen“ schwere, ernährungsbedingte Auffälligkeiten festgestellt wurden, die dann ärztlicherseits zu mitunter erschütternden Diagnosen führten. Viele unserer Minis sind bei Aufnahme mangel-, bzw. fehlernährt, was unter anderem beispielsweise zu Diabetes, irreversiblen Schäden an Milch- und bleibenden Zähnen und im schlimmsten Fall sogar bis zu nicht mehr umzukehrenden Entwicklungsrückständen des Gehirns führen kann - alles in GIRASSOL schon da gewesen. Das Essverhalten der Kleinen zu korrigieren, erfordert meistens eine kurze Zeit großer Geduld und konsequenter Beharrlichkeit; das bequeme Verhalten der ungebildeten, erziehenden, erwachsenen Angehörigen dahingehend zu verändern, dass auch zuhause frisch gekocht wird, dass die vielen Süßigkeiten nicht mehr gekauft werden, Fettes ausgelassen wird - das ist ungleich mühsamer. Dafür werden vom PSD Seminare angeboten gemeinsam mit der Köchin und Dona Adriana, gepaart mit Anleitungen zum nachhaltigen, sparsamen Umgang mit Lebensmitteln und deren Wert und Nutzen. Da es auf dem Gelände der Einrichtung einige Obstbäume und auch einen Gemüsegarten gibt, erfahren die Zwerge spielerisch den Umgang mit Gemüse und Obst. Während des „Kochseminars“ werden auch die Erwachsenen, wenn auch nur oberflächlich, damit vertraut gemacht. Wir begreifen das Vermitteln solchen Ernährungs-Wissens ebenfalls als unsere Aufgabe, denn es ist Bildung (für uns ganz selbstverständliches Wissen) und diese ist wichtig, weil nur richtig ernährte Kinder gesunde Kinder sind und nur gesunde Kinder gut lernen können :-).

Die Generalsanierung unseres Multifunktionsplatzes konnte während der zurückliegenden Weihnachts-/Sommerferien abgeschlossen werden. Mit den von Sternstunden e.V. bewilligten Summen konnten die Arbeiten am Dach, an den Regenrinnen, der Einzäunung, den vertikalen Markisen und dem neuen Bodenbelag bestritten werden. Es sieht alles ganz frisch und neu aus! Die angestrebte Digitalisierung der kompletten Einrichtung, auch dieser Prozess ist dem Geld von Sternstunden e.V. zu verdanken, nimmt immer konkretere Formen an. Hieran sind der Elektrikausbilder Sr. Ronaldo und die Verwaltungsgrunglagenausbilderin Rafaela maßgeblich beteiligt. Ziel ist es, viele Vorgänge im Tagesablauf der Institution zu systematisieren und somit transparenter, sparsamer und effizienter zu gestalten. Und selbstverständlich soll die virtuelle Kommunikation mit dem „Stammhaus“ der SBA und anderen Ansprechpartnern ausgebaut wie auch der digitale Unterricht an sich professionell aufgebaut und perfektioniert werden. Unsere jugendlichen Auszubildenden sollen befähigt werden, digital versiert und flexibel zu agieren, darum gibt’s auch weiterhin manchmal virtuellen Unterricht, an dem von Zuhause teilgenommen wird. Selbst die Kita-Kids werden bereits spielerisch an den Umgang mit dem PC heranführt, denn die berufliche Zukunft der Kinder dieser Welt wird digital bestimmt sein.

Der Spende der VW-Belegschaftsstiftung haben wir es zu verdanken, dass der Elektrik-Kurs um das äußerst kostspielige Modul „Robotik“ erweitert werden konnte. Mit der Erweiterung ihrer Kenntnisse in diesem zusätzlichen Spezialgebiet erhöht sich die Aussicht auf eine Anstellung der Absolventen dieser Ausbildung signifikant. So verhält es sich natürlich auch mit den vertieften Fähigkeiten aller Jugendlichen, in der digitalen Welt sicher agieren zu können. Von unschätzbaren Wert ist der Spenden-Beitrag der VW-Belegschaftsstiftung zum Ausbau der Bäckereilehrwerkstatt auf die doppelte Ausbildungskapazität. Wer diese Ausbildung durchläuft, - unser begehrtester Kurs, bei dem sich 40 Personen um jeden Ausbildungsplatz bewerben - hat meistens schon vor deren Abschluss eine feste Stellenzusage. Eine ganze Reihe der Absolventen dieser Sparte strebt die Selbstständigkeit an, möchte etwa mit einem Kuchenlieferservice den Lebensunterhalt von zuhause aus verdienen oder möchte einen Imbissladen eröffnen und selbstgefertigte Speisen anbieten. Wer das plant, kann sich via GIRASSOL bei der Stiftung Reconquista um ein (sehr!) schmales Startkapital bewerben. Unser PSD unterstützt die Interessierten beim „Papierkrieg“ und im Falle eines positiven Bescheids, werden die Gründer*innen (es handelt sich tatsächlich um über 85% Frauen!) weiterhin begleitet und beraten beim Aufbau ihres Geschäfts. Die Erfolgsquote ist überwältigend und diese kleinen Unternehmen und ihre Betreiber*innen zu besuchen, war für die Vertreter des Fördervereins eine zutiefst bewegende Erfahrung: mit eigenen Augen zu sehen, wie durch GIRASSOL (meistens) einer ganzen Familie verholfen wurde, durch Bildung der Perspektivlosigkeit ihrer favela-Herkunft zu entkommen, dass bestätigt uns auf‘s Stärkste darin, weiterhin unsere ehrenamtliche Arbeit mit Herzblut und Begeisterung zu leisten!

Alles worüber bis hierher berichtet wurde, bot sich den Besuchern des Fördervereins im April dar. Alle CORONA-Beschränkungen waren aufgehoben worden, man kann sich überall wieder ohne Masken bewegen, allein zur konsequenten, regelmäßigen Handhygiene werden die Menschen aufgefordert. Es ist um ein so Vielfaches schöner, inniger und klarer, Menschen ins ganze Gesicht blicken zu können, das Lachen der Kinder zu sehen J

In wenigen Tagen fängt die 16-jährige Clara Medeiros Vieira als Begünstigte von unserer zwei Jahre als Pilotprojekt erfolgreich durchgeführten Initiative CHANCE+ an. Das Mädchen nimmt seit Jahresanfang am Verwaltungsgrundlagenkurs teil - das zu tun, davon träumt es seit seinem 14. Lebensjahr. Schon ihre Mutter und deren Schwester waren Auszubildende in GIRASSOL. Ihre Tante Silvana absolvierte den Bäckerei- und Konditorenkurs und konnte sich dank des Recoquista-Startkapitals erfolgreich selbstständig machen. Clara ist eine äußerst schüchterne Jugendliche, die große Schwierigkeiten hat, sich in der Öffentlichkeit zu artikulieren. Sie hat die Trennung der Mutter vom gewalttätigen Vater noch nicht verwunden, wenn auch sie froh ist, dessen Übergriffen nicht länger ausgeliefert zu sein. Die Angst vorm eigenen Vater ließ sie Panikattacken und tiefgründige Selbstzweifel entwickeln. Clara möchte Jura studieren. Sie ist sich im Klaren darüber, dass das für sie noch ein sehr weiter Weg ist, hat aber auch erkannt, dass sie sich helfen lassen muss, ihre psychischen Probleme zu bewältigen. Sie ist Klassenbeste sowohl in der Schule als auch in ihrem Ausbildungsgang. Durch die Betreuung unseres PSD hat sie bereits belegbare Fortschritte gemacht, die sie lähmende Schüchternheit zu beherrschen, die Panikattacken werden seltener. Sie wird ab Anfang Juli halbtags eine gesetzeskonforme Stelle im GIRASSOL-Sekretariat und am Empfang antreten, eigenes Geld verdienen, Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit trainieren und erlangen und parallel vom PSD begleitet und betreut werden. So wird ihr geholfen werden, „flügge“ zu werden, fit für das Leben außerhalb ihres Zuhauses und dem sie schützenden GIRASSOL, denn das Potential, Juristin werden, urteilt unsere Psychologin Priscila, hat sie. Und sie hat ein leuchtendes Beispiel: Andressa, die erste junge Frau, die von CHANCE+ profitierte. Sie entstammt katastrophalen familiären und finanziellen Verhältnissen. Sie hat es in den zurückliegenden drei Jahren geschafft, ihre persönlichen psychischen Probleme in den Griff zu bekommen, sich einen Platz an der Universität, ausgestattet mit einem die Kosten deckenden Stipendium zu sichern und nähert sich Schritt für Schritt ihrem Berufswunsch, diplomierte Krankenschwester zu werden. Außerdem hat sie einen Halbtagsbürojob, mit dem sie den Familienunterhalt verdient, zusammen mit ihrer siebzehnjährigen Schwester, die ebenfalls einen „GIRASSOL-Abschluss“ und einen bezahlten Praktikantenjob im SBA-Altersheim hat. Der Haushalt besteht aus einer schwerkranken Großmutter, die die jüngeren der acht Enkel versorgt und einer absolut arbeitsunwilligen Mutter. Das erst ein Jahr alte jüngste Kind ist schwerstbehindert zur Welt gekommen … Kein einziger der verschiedenen, allesamt abgängigen Väter zahlt Unterhalt.

Es fiel in die Zeit unseres Besuchs, dass sich die Wege von Dona Cleibe und GIRASSOL trennten. Die Regelung der Nachfolge und entsprechende Anstellung sind in vollem Gange, bzw. steht kurz bevor. Ende Mai trat Herr Polisaitis, Geschäftsführer unseres lokalen Trägervereins SBA, in den wohlverdienten Ruhestand. Acht Jahre lang verband uns eine gedeihliche, freundschaftliche Zusammenarbeit. Zu seiner Nachfolgerin, Dona Verena hat sich bereits ein sehr zielführendes, von Vertrauen getragenes Miteinander entwickelt. Regelmäßig finden zoom-calls statt, um sich bei bestimmten Entscheidungen miteinander abzustimmen, sich zu beraten und auszutauschen. Wir blicken zuversichtlich in die gemeinsame Zukunft, gehen davon aus, weiterhin vertrauensvoll zum Wohle von SBA GIRASSOL Kids/Pro zusammenzuarbeiten.

GirassolEs gibt ein einziges „neues“ Projekt in diesem ersten Halbjahr 2023 in GIRASSOL und das „verdanken“ wir dem Klimawandel und der allgegenwärtigen Umweltzerstörung in Grajaú. Der stoßdämpfende Belag unserer großen Spielplatzfläche wurde bei zwei schweren Unwettern Anfang März buchstäblich weggespült. Es hatte in kürzester Zeit sintflutartig geregnet; die riesigen Wassermassen stürzten das leicht geneigte Grundstück der Einrichtung hinab, drückten die gläsernen Schiebetüren der „Spielothek“ ein, überschwemmten den gesamten Raum nebst Möbeln, Spielsachen, Bilderbüchern, usw. Früher schoss das Wasser bei solchen Wetterereignissen die Straßen hinunter, bis es sich im Tal in den dort fließenden Bach ergoss. Heute ist alles zubetoniert durch das illegale Bauen von Behausungen, das Bachbett komplett verstopft durch Unmengen von Unrat aller Art, die darin entsorgt werden, einem Staudamm gleich. Es wird einer beachtlichen finanziellen Anstrengung bedürfen, die umfangreichen Wiederinstandsetzungsarbeiten gewährleisten zu können. Wir hoffen sehr, die dafür nötigen Mittel bis zum Beginn der Winterferien zusammen zu haben, um in der schulfreien Zeit die Baustelle zu beginnen und auch beenden zu können. Und die Ausstattung des Raumes muss auch neu zusammengetragen werden … Dürfen wir Sie dafür um eine Spende bitten?!

Unvorhersehbarkeiten gibt es im Leben immer wieder … Auch diese wird mit vereinten Kräften überwunden werden können. Wir haben durch Sie und mit Ihrer großzügigen Unterstützung schon so viele Klippen umschifft, dass wir darauf bauen möchten, auch weiterhin uns Ihres Vertrauens würdig zu erweisen und auf Ihre Spenden zählen zu können. Wir versichern Ihnen: mit der Arbeit vor Ort, die allein durch Ihre Spenden möglich ist, wird die Welt ein ganz klein wenig besser, das Leben Hunderter würdiger!

Voll Dankbarkeit verabschieden wir uns,

Ihre

Andreas Krebs, Vorsitzender                   Dr. Thomas Schmidt, stellvertretender Vorsitzender

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