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Leben ohne Müll

Beate Siegler, Jahrgang 1950, unterrichtete bis 2017 Deutsch als Fremdsprache. Sie ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und vier Enkelkinder. Seit 2016 vermeidet sie Plastikverpackungen, seit 2017 Verpackungen generell.

Foto Beate Siegler 2019 Frau Siegler, Sie sind seit einigen Jahren erfolgreich darin, Waren unverpackt einzukaufen und vor allem Plastik zu vermeiden. Wie hat das angefangen?

BS: Als ich am 10. Februar 2016, dem Aschermittwoch, gerade überlegte, worauf ich diesmal während der Fastenzeit verzichten sollte, sprang mir ein Newsletter des BUND ins Auge. Er trug den Titel: “Fasten Sie Plastik!“ Der Vorschlag leuchtete mir sofort ein, da mir schon seit Jahren unangenehm aufgefallen war, dass in allen Bereichen unseres Lebens immer mehr schöne, natürliche Materialien durch Plastik ersetzt wurden. Gegen das Argument, dass Plastik praktisch und billig sei, konnte man schwer etwas einwenden. Die durch dieses Material verursachten Umweltprobleme waren noch kaum im Gespräch. So diente mir das Fastenprojekt auch als eine Art Rechtfertigung. Ich begann damals die noch sehr sporadischen Zeitungsartikel über die durch Plastik verursachten Umweltprobleme zu sammeln; erst Anfang 2018, als China nicht mehr 50% unseres Altplastiks übernahm, begannen die Medien mehr darüber zu berichten. Heute braucht man sich gar nicht mehr zu rechtfertigen, wenn man Plastik vermeiden möchte, im Gegenteil.

Welche Schwierigkeiten ergaben sich am Anfang Ihres Fastenprojekts?

BS: Frische Lebensmittel kauften mein Mann und ich schon seit Jahren jeden Samstag auf dem Konstabler Markt, wo man problemlos alles auch ohne Plastiktüten oder -folien bekommt. Für Käse und Wurstwaren suchten wir uns nun gezielt jene Händler aus, die noch das gewachste Einwickelpapier ohne Plastikbeschichtung verwendeten.
Trockene Lebensmittel und Reinigungsmittel einzukaufen war schon etwas schwieriger, es gab auch noch keinen Unverpacktladen in Frankfurt. Da wir solche Dinge aber noch als Vorräte in der Küche hatten, musste ich erst nach und nach auf die Suche nach neu-en Quellen gehen. Kaffee kaufte ich dann im Weltladen, wo er lose verkauft und mir direkt in mein mitgebrachtes Säckchen gefüllt wurde. Nach Nudeln musste ich länger suchen, fand schließlich in einem größeren Supermarkt genau zwei Sorten im Pappkarton ohne Plastik-Sichtfenster. Reis fand ich zunächst gar nicht, bis ich ihn schließlich lose, zum selbst Abfüllen, bei einem marokkanischen Händler im Bahnhofsviertel aufspürte. Haferflocken, Salz, Zucker u.v.m. war interessanterweise eher im konventionellen Supermarkt als im Biomarkt plastikfrei zu finden. Toilettenpapier bestellte ich als Einzelblatt im Internet; es kam ein großer Karton mit 9000 Blatt Toilettenpapier, wunschgemäß völlig plastikfrei, nur hatte der Händler den Versandkarton völlig überflüssigerweise mit vielen Metern Plastikfolie umwickelt; ich reklamierte das und musste mich als „Ökotante“ beschimpfen lassen, die gefälligst auf dem Mond wohnen solle. Hab den Händler gewechselt.

Wie reagierte Ihre Familie, als Sie anfingen, konsequent Verpackungen einzusparen?

BS: Mein Mann sagte zunächst: “Aber auf meine Küchenrolle kann ich nicht verzichten!“ Das fand ich lustig; als gäb’s keine größeren Herausforderungen! Eine Schublade voller zu Putzlappen verarbeiteter kaputter Bettwäsche löste das Problem sofort. Die letzte angefangene Küchenrolle stand dann noch jahrelang im Regal, bis wir sie mal verschenk-ten.
Im zweiten Jahr, Aschermittwoch 2017, begann ich nicht nur Plastik, sondern Müll allgemein zu fasten. Das veränderte aber nur wenig, da tatsächlich der meiste Hausmüll ganz oder zum Teil aus Plastik besteht. Am Aschermittwoch 2018 stöhnte mein Mann allerdings: „Oh je, es ist wieder Aschermittwoch. Was müssen wir jetzt abschaffen?“ Das war natürlich eher lustig gemeint, denn mein Mann machte inzwischen entschlossen und ganz überzeugt mit beim Müll sparen; er geht aber auch Kompromisse ein, was ich nicht tue. Das ist ganz in Ordnung für mich.
In unserem Haus lebt auch unsere Tochter mit ihrer Familie. Sie haben ihren eigenen Haushalt, aber wir essen häufig zusammen und die Kinder sind oft bei uns, v.a. dieses Jahr während der Schul- und Kindergartenschließungen. Meine Tochter spart auch Verpackungen soweit es ihr Arbeitsalltag erlaubt und nutzt gerne einen Unverpacktladen in der Nähe ihres Büros, wo sie dann regelmäßig nach der Arbeit einkauft. Mein Schwiegersohn, dagegen sieht das Problem noch nicht so sehr als seines an. Ich bin aber kein Missionar, weiß außerdem, dass ich allein mit meinem Einkaufsverhalten nicht das Wachsen der Müllberge in armen Ländern wie Malaysia verhindere; aber ich will wenigstens mit mir selbst in Einklang handeln.

Wie viel Verpackungsmüll fällt trotz Ihrer konsequenten Haltung bei Ihnen an, und worauf müssen Sie verzichten?

BS: Ich habe Altpapier, weil ich auf eine Tageszeitung nicht verzichten will.
Für Restmüll und Plastikmüll steht im Bad ein 1-l-Einmachglas, das ungefähr alle vier Wochen geleert werden muss. Darin sammeln sich mal Bobonpapiere von den Enkeln, mal Wachsumhüllung vom Käse, Plastikfenster von Briefumschlägen, manchmal eine Verpackung von einem Geschenk, das mir jemand mitgebracht hat, Pralinen oder sowas, ab und zu ein Bürstenkopf von der Zahnbürste. Alles in Allem etwa 20 bis 30 Gramm pro Monat.
Außerdem habe ich natürlich Kompostabfälle, aber die sind kein Müll.
Verzichten muss ich auf Süßigkeiten aus dem Supermarkt. Ich mochte immer so gerne Waffelröllchen, die in dunkle Schokolade getaucht sind. Als ich nach ca. 2 Jahren wie-dermal welche probierte, schmeckten sie mir aber gar nicht mehr: sie schienen nur aus Zucker zu bestehen. In den Unverpacktläden bekommt man sehr gute Süßigkeiten, weshalb auch meine Enkel gerne mit zum Einkaufen gehen.

Ist das verpackungsfreie Einkaufen nicht sehr zeitaufwändig? Wie viel Zeit brauchen Sie für Ihre Einkäufe?

BS: Was die frischen Lebensmittel angeht, hat sich gegenüber vorher gar nichts geändert, nach wie vor gehen wir samstags zum Konstablermarkt, lassen uns inzwischen die Waren nicht mehr in Tüten oder Wachspapiere einpacken, sondern in unsere eigenen Taschen, Dosen und Gläser.
Trockene Lebensmittel sowie Reinigungs- und Pflegemittel kaufen wir im Unverpacktladen auf Vorrat. Wenn wir etwas brauchen, können wir das im Anschluss an den samstäglichen Markteinkauf erledigen - es gibt einen Unverpacktladen in der Innenstadt, nahe der Konstabler Wache.
Während der Woche fahre ich höchstens mal mit dem Fahrrad zum Bioladen und kaufe eine Flasche Milch, manchmal ein Brot beim Bäcker um die Ecke. Manche Leute gehen täglich einkaufen, dazu wäre ich, ehrlich gesagt, inzwischen viel zu faul.
Natürlich braucht man eine gute Planung und: den guten alten Einkaufszettel.

Verzichten Sie dann auch ganz auf Fertigprodukte? Wie groß ist der zeitliche Aufwand, wenn Sie Dinge selbst herstellen müssen, die es sonst im Supermarkt gibt?

BS: Wir sind keine Fans von Fertigprodukten und kochen meistens selbst. Aber sogar auf dem Markt kann man Gläser mit fertigen Gerichten kaufen: Chili con Carne, Ratatouille, Suppen, Brotaufstriche, Sauerkraut, eingelegte Gurken, Pestos, Marmeladen, getrocknete Pilze; die leeren Gläser nehmen die Marktleute gerne zurück.
Manches stellen wir selbst her: mein Mann macht eine ausgezeichnete Gemüsebrühe auf Vorrat, ich mache Waschpulver, Hautcreme, Sauerkraut im Winter, Tomatensoße im Sommer usw. Inzwischen bekommt man all das fertig auch in Unverpacktläden, die es ja noch nicht gab als ich anfing mit meinem Plastikverzicht; aber ich habe Spaß am Selber-machen gefunden und mache das weiter so. Der zeitliche Aufwand ist gering, meist nur wenige Minuten; aber natürlich muss man erstmal lernen, wie es geht, und das kostet unter Umständen ein bisschen Zeit. Anleitungen findet man in Büchern oder im Internet.

Können Sie uns Beispiele nennen, wie man leicht Verpackungsmaterial einsparen kann? So zu sagen „Plastik sparen für Anfänger“?

BS: Unter www.plastiksparen.de finden Sie jede Menge Tipps für umweltfreundliches und gesünderes Einkaufen. Petra Kress, die Initiatorin von Plastiksparen, wohnt wie ich in Heddernheim, wir haben schon einige Veranstaltungen gemeinsam gemacht, sind befreundet und ergänzen uns: während ich für die kompromisslose Müllvermeidung stehe, die aber vielleicht nur wenige Menschen bewerkstelligen können, setzt sie darauf, dass viele Menschen wenigstens einen beträchtlichen Teil ihres bisherigen Mülls einsparen. Sie hat inzwischen auch ein Buch herausgegeben: “Plastik sparen im Supermarkt“, das man über ihre Webseite beziehen kann.

Wie teuer ist der Verzicht auf Plastikmaterial? Können sich das Menschen mit einer normalen Rente überhaupt leisten?

BS: Ich merke, dass ich weniger Geld ausgebe als früher. Das mag zum Teil daran liegen, dass wir konsequent vor dem Einkauf nachschauen, was noch drin ist im Kühlschrank oder in den Vorratsbehältern, so dass wir wirklich gar keine Lebensmittel wegwerfen müssen, und nur das kaufen, was wir tatsächlich brauchen. Zum andern Teil liegt es vielleicht auch daran, dass man nicht mehr in Supermärkten unterwegs ist, wo ständig Produkte allein schon durch ihre bunte Verpackung für sich werben und man dauernd in Versuchung ist, irgendetwas zusätzlich und ungeplant zu kaufen. Auch sind viele Sachen dort doch teurer, als man denkt, weil sie weniger Inhalt enthalten als es von außen erscheint – man denke nur an Kaffeekapseln, oder an vorgekochte Bohnen, Erbsen, Linsen, Kichererbsen … Im Unverpacktladen können Alleinstehende auch kleine und kleinste Mengen einkaufen, was im konventionellen Laden durch die standardisierten Verpackungsgrößen nicht möglich ist.

Bei was machen Sie Ausnahmen und akzeptieren doch in geringem Maße Verpackungsmaterial?

BS: Ganz klar bei Medikamenten. Und wenn jemand so nett ist, mir Blumen oder sonst was mitzubringen, mache ich auch kein Theater, weil ein bisschen Plastik an der Verpackung ist, da ist mir doch wichtiger, einen lieben Menschen nicht in Verlegenheit zu bringen.
Was bei mir, da ich sehr viel nähe, auch manchmal anfällt, sind Garnrollen, die leider seit ca. 30 Jahren nicht mehr aus Pappe oder Holz, sondern aus Plastik sind. Bei den Garnen selbst sowie bei Stoffen und Kleidung achte ich aber darauf, dass keine Kunstfasern dabei sind.

Bezieht sich das Plastik sparen nur auf Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs?

BS: Die Frage ist gut! Denn natürlich ist heutzutage jeder Haushalt voll mit Gegenständen, die ganz oder zum Teil aus Plastik bestehen, angefangen beim Computer über Bügeleisen, Nähmaschine, Telefon, Kühlschrank usw. usw. Es hätte wenig Sinn, diese Dinge alle wegzuwerfen, denn das meiste brauchen wir ja doch; Müll wollen wir ja gerade vermeiden, und wir werden nach plastikfreien Alternativen sicher vergeblich suchen.
Meine Taktik ist, die Dinge, die ich besitze, wertzuschätzen und zu pflegen so gut es geht; falls sie kaputt gehen, versuche, ich sie reparieren zu lassen, wenn das nicht mehr möglich ist, sie ordentlich entsorgen zu lassen entweder vom Hersteller oder im Wertstoffhof.
Kleidung repariere ich selber und trage sie so lang, bis sie mir buchstäblich vom Leibe fällt, und selbst dann fällt mir meist noch etwas ein, was ich aus den Überresten machen könnte. Zugegeben, das ist nicht für jeden und jede was – man kann gut erhaltene Stücke aber auch zu Oxfam oder einem anderen Secondhandladen bringen, und man kann schauen, ob man dort etwas neues Gebrauchtes für sich findet. Vor Corona gab es außerdem immer mehr Kleidertauschparties für alle Altersgruppen – nach Corona wird das sicher wieder aufleben.

Ihre Ausdauer ist bemerkenswert. Eine Fastenzeit endet in der Regel ja nach sechs bis sieben Wochen. Was motiviert Sie, diese besondere Fastenzeit nicht aufhören zu lassen?

BS. Ich lese Zeitung und höre Radio. Ich sehe wie alle andern, dass die Welt in einem beklagenswerten Zustand ist. Das meiste kann ich nicht ändern. Aber ich kann versuchen, mit mir selbst in Einklang zu leben – der Gedanke, dass wir unseren Wohlstandsmüll den Ärmsten der Armen vor die Füße werfen, ihre Gärten und Felder zu unserer Müllkippe machen, widerstrebt mir zutiefst, dazu möchte ich entschieden keinen Beitrag leisten.
Und dann ist es natürlich äußerst angenehm, keinen Müll in der Küche zu haben.

Oswald Bellinger, Mitglied im PGR und SA Eine-Welt


Unverpacktläden in Frankfurt und Umgebung
• UNVERPACKT & bienenfleißig, Bahnstr. 18a, 65779 Kelkheim
• Die Auffüllerei, Höhenstraße 40, 60385 Frankfurt
• Grammgenau, Adalbertstr. 11, 60486 Frankfurt
• ULF Unverpackt Laden Frankfurt, Saalgasse 1, 60311 Frankfurt
• ULF am Lokalbahnhof, Darmstädter Landstr. 44, 60594 Frankfurt

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