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Drei Wochen „Vielfältig verbunden“

oder Kirche anders denken ist möglich

Im September waren viele große und beeindruckende Gemälde der russisch-deutschen Künstlerin Julia Belot in der Kirche Sankt Michael aufgehängt. Sie waren dort nicht nur „zu Gast“, sie prägten auch das gottesdienstliche Geschehen mit und boten zudem den Rahmen und den Hintergrund für ein schwungvolles Klezmer-Konzert und eine Autorenlesung.

Sankt Michael in Sossenheim erwies sich als idealer Ort für die Ausstellung. Schon zur Vernissage am 3. September strömten mehr als 70 Personen in die Kirche, darunter sehr viele, die diese Kirche schon lange nicht mehr oder noch nie betreten hatten. Sie waren eher aus Neugier gekommen und nun überrascht von dem großen lichtdurchfluteten Raum und der hellen und angenehmen Ausstrahlung seiner Architektur. Und dazu diese vielen beeindruckenden Bilder mit ihrer Suche nach Schönheit und Vollkommenheit! Viele schrieben ins Gästebuch, die Architektur des Kirchenraums und die aufgehängten Gemälde bildeten eine harmonische und inspirierende Einheit.

A propos Inspiration – das große Thema der Ausstellung „Vielfältig verbunden“ bringt uns eine Tatsache vor Augen, die wir im Alltag nur allzu leicht übersehen: Unser Verbundensein als Menschen miteinander und mit allem was lebt auf dieser schönen Welt, die eigentlich dafür gedacht ist, allem Leben ein gutes und angemessenes Zuhause zu bieten und die unfassbar vielfältigen biologischen und ökologischen Bedingungen zu erhalten, die der Schöpfergott  uns bereitgestellt hat. Wir alle sind Werke des gleichen Schöpfers und sollten entsprechend rücksichtsvoll miteinander und mit unserer Umwelt umgehen. Diese Verbundenheit uns selbst und unseren Mitmenschen immer wieder in Erinnerung zu bringen und dem Schöpfer dafür zu danken ist eine der schönsten Aufgaben einer christlichen Gemeinde. Und in welchem Raum könnten wir das besser tun als dort, wo wir uns auch zum Gottesdienst treffen – in der Kirche?

Vielfältig verbunden 1

Manche Gottesdienstbesucher schauten sich die Bilder vor oder nach den Gottesdiensten an. Viele andere – etwa 120 – kamen an den Ausstellungstagen, blieben zum Teil lange und informierten sich über die Hintergründe von Julia Belots Bildern. 18 Personen führten, zuvor gut informiert, an den Ausstellungstagen Aufsicht und beantworteten Fragen.

Zur Vernissage improvisierte der bekannte Klarinettist Roman Kuperschmidt zu Julia Belots Bildern und spielte Melodien aus der jiddischen Tradition. Eine Woche später spielte er mit seinem Ensemble vor 120 begeisterten Besuchern ein ebenso gefühlvolles wie mitreißendes Klezmer-Konzert. In Musik und Ansagen kamen die Ursprünge und Lebenswelten der porträtierten jüdischen Menschen dem Publikum ganz nahe. Dabei repräsentierten die vier herausragenden Musiker selbst eine Verbindung über Grenzen hinweg: Sie stammen aus Russland und der Ukraine, und nun spielten sie als Juden in einer katholischen Kirche!

Zu einer dritten Veranstaltung kamen etwa 30 Personen in die Kirche: Peter Neumaier berichtete anschaulich über das Leben seines Großvaters, der in der NS-Zeit das Schlimmste erleben musste, was einem Menschen passieren kann, dass er nämlich plötzlich nicht mehr „vielfältig verbunden“ ist und von Freunden und Familie, von Arbeitskollegen und Nachbarn im Stich gelassen wird (Buch-Titel „Wehe dem, der allein ist“).

Am 25. September schließlich war schon Finissage: Großer Dank an alle Mitwirkenden und Helfer, an Organisatoren und Künstler, auch an die Pfarrei Sankt Margareta für ihre Unterstützung. Zum Dank gibt es Michaelswein und sogar einen Belot-Wein aus Frankreich. Die drei jungen Musiker der „Vier Saiten“ spielen auf zwei Geigen und Cello ergreifende Klezmer-Arrangements, später auch Tangos.

Rückblick wird gehalten: Was haben wir in diesen drei Wochen erfahren über Kirche, uns selbst…?

Über das Ende der Ausstellung hinaus bleibt bei vielen Besucherinnen und Besuchern der Eindruck einer mit neuen Augen wahrgenommenen Kirche. Kirche als Ort, wo alle eingeladen sind, sich zu treffen, sich anregen und inspirieren zu lassen, miteinander ins Gespräch zu kommen – und auch zu genießen: Die Malerei, Musik, Literatur, den Raum, die Stille… Kirche also nicht nur als exklusiver Ort „für die, die immer kommen“, sondern auch als ein einladender Ort für Kirchenferne, die sich gerne erinnern, dass sie hier schöne kulturelle Erfahrungen machen konnten und hierher gerne wieder kommen werden, wer weiß, vielleicht auch um sich darüber hinaus einzubringen und künftig mitzumachen.

„Kirche für alle“ bedeutet in Zeiten von Kirchen-Leerstand, Kirchen-Abriss und dringender Neukonzeption, dass wir uns öffnen und neue Wege gehen. Der Bildungsausschuss von Sankt Margareta hat mit dem Ausstellungsprojekt „Vielfältig verbunden“ einen Anstoß gegeben, der hoffentlich bleibende Spuren hinterlässt und dem hoffentlich weitere Initiativen folgen werden. Kirchen sind keine exklusiven Orte mehr, hier geschieht nicht Ex-kommunikation, sondern Kommunikation. Hier machen wir uns in Verbundenheit und Freude gemeinsam auf den Weg, immer wieder neu.

Julia Belot ist von der Kirche in Sossenheim und auch von der Organisation und der Begleitung durch Mitglieder der Gemeinde begeistert. Die Organisatoren freut’s. Dann heißt es Abschied nehmen, zum letzten Mal die Bilder in der Kirche sehen, an die man sich schon fast gewöhnt hat. Und das Gefühl mitnehmen, einmal mehr erlebt zu haben, wie Kirche begeistern kann. Ein bisschen Wehmut bleibt. Was kommt als nächstes?

Für den Sachausschuss Erwachsenenbildung der Pfarrei Sankt Margareta,
Lieselotte Bollin,  Armin Kopp

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