Impuls Dezember 2022
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Dieser Vierzeiler aus dem Stundenbuch von Rilke, der wie kaum ein anderer die Ausdrucksfähigkeit
der deutschen Sprache ausschöpfen konnte, beschäftigt mich, wenn das Jahresende naht. Der Text beinhaltet ein Glaubenszeugnis. Jeder neue bewusst und gewollt angenommene und gelebte Jahresring am Lebensbaum eines Menschen ist ein Zeichen sinnvoll gelebten Lebens. Nicht im Erzielen eines Erfolgs liegt dieser Sinn, sondern in dem unverdrossenen und der Resignation wiederständigen Versuch, aus dem gottgegebenen Leben etwas Werthaltiges zu machen. Das kann der Christ/die Christin tun in dem Wissen, dass er/sie nicht allein ist, dass nicht alles von ihm/ihr abhängt, dass auch alles, was in seinem/ihrem Leben unvollendet bleibt, sinnvoll ist, dass er/sie nicht verbissen alles aus dem Leben herauspressen muss, was vielleicht drin ist.
Möge dieser Rilke-Text Sie ins neue Jahr begleiten, wenn ein neuer Jahresring zu wachsen ansetzt.
Dr. Karl-Josef Schmidt